Bitte Abstand halten!
Abstand ist auch Anstand und ein Zeichen gegenseitiger Würdigung. Nicht nur in Coronazeiten.
Kennen Sie das auch? Ohne befreundet oder bekannt zu sein bzw. sich nahezustehen, wird man permanent geduzt. Von Leuten, die bestimmte Interessen verfolgen, wird man oft respektlos in deren Nähe einbezogen, ohne dass man das eigentlich will. Mal ganz abgesehen von den immer nahen Schulterklopfern, die immer dann weit weg sind, wenn man keinen Erfolg (mehr) hat, krank wird, Hilfe braucht usw.
Ein wenig mehr Abstand bzw. der richtige Abstand wäre doch geboten, denn die Wahrung der Distanz zu anderen, ist doch auch die Wahrung der Autonomie der anderen bzw. die Wahrung der Würde der anderen Menschen.
Die richtige Distanz zu wahren, ist nichts anderes als der Begriff der Anerkennung des Anderen als eines gleichberechtigten Menschen.
Wie ist das eigentlich grundsätzlich mit der Nähe und der Distanz im zwischenmenschlichen Verhalten und in der Kommunikation?
Es gehört zum guten Ton, den persönlichen Freiraum eines anderen Menschen zu respektieren. Zu viel Nähe in psychischer und / oder in physischer Form ist einfach unangenehm. Jedenfalls gegenüber Fremden und Menschenmengen. Das unerlaubte Eindringen in unsere jeweilige Privatsphäre (Hoheitszone) oder gar Intimsphäre wird daher immer als unzulässige Grenzübertretung aufgenommen – als distanzlos eben.
Eine Grenzüberschreitung entsteht dann, wenn das Nähe-oder das Distanzempfinden des Gegenübers nicht respektiert wird. Eine Grenzüberschreitung kann absichtlich oder auch unabsichtlich geschehen.
Dabei muss man trennen zwischen Nähe und Distanz in physischer und in sozialer Hinsicht.
Die soziale Nähe bzw. Distanz umschreibt die Verbundenheit bzw. soziale Beziehung zweier Akteure sowie deren Emotionen und Verhalten zueinander.
Die Distanz und die Nähe zu einem Menschen können verletzen, wenn unterschiedliche Bedürfnisse und Gefühle vorhanden sind.
Die Verletzungen und Irritationen können in diesem Zusammenhang durch Worte, Gestik, Mimik und sonstigem Interaktionsverhalten ausgelöst werden. Nähe – Distanz werden immer wieder neu definiert, je nach Beziehung, Rolle, Aufgabe, Bereich, Ort, Zeit und der eigenen Befindlichkeit. Somit hat es auch immer eine persönliche Bewertung.
Bei der Nähe und Distanz in physischer Hinsicht denkt und empfindet man nicht in erster Linie in sozialen und emotionalen, sondern vordergründig in räumlichen Kategorien.
Menschen brauchen Abstand. Nicht aus Sozialphobie. Sie schützen ihre Distanzzonen. Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die zeigen, dass Menschen auf Warteschlangen, Verkehrsstaus oder Bahngedränge mit enormem Stress reagieren. Nicht wegen des steigenden Termindrucks, sondern wegen der menschlichen Nähe. Sogenannte Crowding-Situationen, in denen wir Fremden näher sein müssen, als uns lieb ist, können regelrecht psychischen Druck auslösen.
Dahinter stecken subtile Territorialansprüche, die jeder von uns hat und die der US-Antropologe Edward T. Hall schon 1963 entdeckte und vermaß – eben jene sogenannte Distanzzonen…
Der Forscher Edward T. Hall unterschied nach seinen wissenschaftlichen Untersuchungen am Ende vier fundamentale Distanzzonen des Menschen:
- Die öffentliche Zone.
Sie umfasst einen Umkreis mehr als 3,60 Meter Abstand und ist für die meisten Menschen unproblematisch. Bei dieser Entfernung nehmen wir sensorische Signale anderer Menschen kaum noch wahr und fühlen uns auch nicht bedroht. Dieser Umkreis ist typisch für die Rolle eines Zuschauers während einer Parade oder während er einem öffentlichen Vortrag lauscht.
- Die soziale Zone.
Sie reicht von 1,20 bis 3,60 Meter. Es ist der klassische Abstand zu Fremden, Servicekräften, Beamten oder Wartenden am Bahnsteig. Wer so viel Abstand hält, belästigt niemanden. Erst wenn Sie eine gefühlte Armlänge unterschreiten, dringen Sie in die nächste Distanzzone ein…
- Die persönliche Zone.
Diese persönliche Distanzzone oder auch Privatsphäre ist Bekannten oder Kollegen vorbehalten. Sie dürfen dabei zwischen 60 Zentimeter und einen Meter an uns heranrücken. Es ist zugleich die Zone, in die jemand beim Begrüßen oder gegenseitigem Vorstellen eindringt. Der sogenannte Armlängen-Abstand ist auch die unsichtbare Grenze beim Smalltalk, bei Konversationen oder einem Verkaufsgespräch in einem Laden. Deshalb sollten sich Fremde in dieser Gesprächsdistanz nur langsam nähern, wenn sie nicht gleich Vorbehalte schüren wollen.
- Die intime Zone.
Auch Intimsphäre genannt. Hier hält unser Gegenüber gerade mal 60 Zentimeter Abstand – eine halbe Armlänge oder weniger persönliche Distanz. Dieser Bereich bleibt üblicherweise nur engsten Freunden, der Familie oder dem Partner vorbehalten – zum Beispiel bei einer Begrüßung mit Wangenkuss. Der Körperkontakt zwischen uns und diesen Menschen wird in der Regel sogar als angenehm empfunden.
Wer uns unfreiwillig oder gar bewusst dicht auf die Pelle rückt, den empfinden wir als unangenehm, Bedrohung, aufdringlich, würdelos, distanzlos – und reagieren mit Ablehnung oder gar Aggression:
„Bitte Abstand halten!“