Das Paradoxon der Hilfe (am Beispiel von Jobcentern / Arbeitsagenturen)
Das Paradoxon der „Sozialen Hilfe“:
Wenn man im Zusammenhang von professioneller „Sozialer Hilfe“ über das Fördern und das Fordern nachdenkt, sollte man wissen worüber man spricht.
Im besten Sinne bedeutet „Helfen“ ja, jemandem so Unterstützung oder Beistand zu leisten, damit diese Person eine Aufgabe erledigen, ein Problem lösen oder eine schwierige Situation eigenverantwortlich bewältigen kann.
Was ist aber, wenn die gutgemeinte Hilfe dazu führt, dass die Person dauerhaft von Fremdhilfe abhängig bleibt, sich an die Hilfe gewöhnt … oder das helfende System sich aus ökonomischen oder anderen Gründen nicht überflüssig machen will oder kann bzw. das helfende System extrem ineffektiv und ineffizient operiert … ?
Das kostet ein Vermögen (gesamtfiskalischen Kosten der Langzeitarbeitslosigkeit): in 2022 ca. 60,6 Milliarden Euro, was 1,56 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entsprach.
Selbstbefähigung – Fördern & Selbstverantwortung – Fordern
- „Man hilft den Menschen nicht, in dem man für sie tut, was sie selbst tun können.“
- „Gib einem Menschen einen Fisch, und er ist einen Tag satt. Lehre ihn zu fischen, und er wird nie wieder hungern.“
- „Hilfe ist nur dann erfolgreich, wenn sie überflüssig wird. Alles andere, ist rausgeschmissenes Geld“

Frage:
Was kann man tun, um Menschen „richtig“ und „nachhaltig“ zu helfen und dabei noch sehr viel Mehrwert für sie und für die Gesellschaft herzustellen (Im Sinne von Selbstentfaltung, Souveränität, Teilhabe, Arbeitskräftesicherung, Produtivitätssteigerung, sozialer Gerechtigkeit, Kostensenkungen im Sozialhaushalt etc.) ?
These:
„Hilfe kann paradoxe Effekte haben, weil sie oft mehr den Helfern als den Hilfsbedürftigen nutzt“. (Niklas Luhmann 1984 / Soziale Systeme).
Fazit:
„Hilfe ist kein neutrales oder rein gutes System – sie folgt ihren eigenen systemischen Zwängen und kann dazu führen, dass sich Probleme nicht auflösen, sondern reproduzieren.“ (Ebenda).
Es entstehen 3 Verdachtsmomente:
- Motivverdacht – Wem dient Hilfe wirklich?
Der Verdacht, dass Hilfe mehr den Helfenden als den Hilfsempfängern dient, verweist auf die Eigeninteressen von Hilfsorganisationen, Sozialstaaten oder sozialen Berufen. Wenn eine Organisation existiert, um Hilfe zu leisten, entsteht ein strukturelles Interesse daran, dass es immer Hilfsbedürftige gibt – sonst wäre ihre Existenz nicht mehr legitimiert oder finanziert. - Effizienzverdacht – Verhindert Hilfe Selbsthilfe?
Hilfe bewirkt oft genau das Gegenteil, was sie beabsichtigt: Sie macht Menschen weniger fähig, sich selbst zu helfen. Wenn jemand weiß, dass Hilfe immer verfügbar ist, reduziert sich der Anreiz zur Selbstlösung. - Stigmatisierungsverdacht – Hilfe als self-fulfilling prophecy?
Die Kategorisierung als „hilfsbedürftig“ kann zu einem dauerhaften sozialen Status werden. Wer einmal als hilfsbedürftig markiert ist, hat es schwer, diesen Status wieder loszuwerden. Das Label „hilfsbedürftig“ wird zur Identität.
Warum könnten Jobcenter und Arbeitsagenturen ein Eigeninteresse an Arbeitslosigkeit haben?
- Existenzberechtigung durch Arbeitslose
Wenn es keine oder nur wenige Arbeitslose gäbe, bräuchte es auch keine (oder deutlich weniger) Jobcenter-Mitarbeiter.
Es gibt also ein implizites Interesse daran, dass Arbeitslosigkeit nicht vollständig verschwindet, sondern verwaltet wird. - Fokus auf Verwaltung statt Problemlösung
Jobcenter sind oft hochbürokratische Institutionen. Viel Zeit und Geld fließt nicht in echte Arbeitsvermittlung, sondern in Verwaltung, Anträge, Dokumentationen und Kontrollmechanismen. Dies führt dazu, dass sich das System mehr mit sich selbst beschäftigt als mit den Betroffenen. - Kurzfristige Maßnahmen statt nachhaltiger Integration
Viele Maßnahmen haben fragwürdige Erfolge, erfüllen aber die Statistik. Das System braucht immer wieder neue standardisierte Förderprogramme, um zu rechtfertigen, dass es notwendig ist. Gleichzeitig gibt es wenig Anreize, echte, nachhaltige Lösungen für Betroffene zu finden. - Sanktionsmechanismen als Machtausübung
Jobcenter können Leistungen kürzen oder streichen, wenn jemand nicht den Vorgaben folgt. Das führt dazu, dass Hilfsempfänger sich dem System fügen müssen, statt selbstbestimmt nach Lösungen zu suchen.
Jobcenter und Arbeitsagenturen sind nicht überflüssig – aber sie müssten wesentlich effektiver und weniger selbsterhaltend agieren. Dafür brauchen sie ein neues Konzept, eine neue Struktur und völlig neue Methoden. Hierfür braucht es eine mutige neue Politik verbunden mit Sachkenntissen.
Die Vermittlungsquote der Jobcenter in Deutschland, also der Anteil der Arbeitslosen, die durch direkte Vermittlung der Jobcenter eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen, hat in den letzten Jahren einen rückläufigen Trend gezeigt:
- 2014: 13,9 %
- 2018: 10,5 %
- 2022: ca. 6 %
Diese Zahlen bedeuten, dass im Jahr 2022 etwa bescheidene 6 % der Arbeitslosengeld-II-Beziehenden durch direkte Vermittlung der Jobcenter eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden haben.
Diese Quote beweist signifikant, dass die Jobcenter und Arbeitsagenturen nicht richtig funktionieren bzw. dass das dahinterliegende Konzept sowie die damit verbundene arbeitsmarktpolitische Praxis nicht zielführend sind und den Staatshaushalt Jahr für Jahr extrem belasten.
Dazu kommt, dass jedem, der diese Praxis kritisiert, moralisch überheblich und reflexartig vorgeworfen wird, „ja bei den Armen sparen zu wollen“. Das hat leider was mit unzureichender Analyse, mangelndem Wissen oder einseitiger Interessenorientierung im Themenfeld der „Sozialen Hife / der arbeitsmarktpolitischen Praxis“ zu tun.
Jeder Mensch kann etwas leisten und beitragen, jeder Mensch wird in der Gesellschaft und der Wirtschaft händeringend gebraucht und jeder Mensch ist sehr wichtig sowie mitverantwortlich für die Solidargemeinschaft und selbstverantwortlich für sein Leben. Die eingesparten Milliarden könnte man super für bessere Bildungseinrichtungen einschließlich Hochschulen, besseres Wohnen, besseres Gesundheitswesen, besseren Nahverkehr, mehr öffentlichen Gemeinschaftsstätten usw. usw. verwenden.
Auch gibt es keine „unabhängige“ kritische Zuarbeit seitens der Wissenschaft. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ist eine wissenschaftliche Einrichtung der Bundesagentur für Arbeit (BA). Diese Verbindung wirft die berechtigte Frage auf, inwiefern das IAB unabhängig forschen kann, wenn es gleichzeitig Teil einer Behörde ist, die es auch untersucht. So könnten kritische Forschungsergebnisse politisch oder verwaltungsintern unerwünscht sein. Eine neutrale wissenschaftliche Einrichtung sollte unabhängig evaluieren, ob arbeitsmarktpolitische Maßnahmen sinnvoll sind. Da das IAB Teil der BA ist, besteht der Verdacht, dass Forschungsergebnisse eher dazu dienen, die BA-Strategien zu rechtfertigen als sie kritisch zu hinterfragen.
Die finanziellen Aufwendungen für das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit setzen sich aus verschiedenen Posten zusammen:
- Sozialleistungen (Bürgergeld):
Im Jahr 2023 erhielten rund 5,5 Millionen Menschen in Deutschland Bürgergeld. Die genauen jährlichen Gesamtkosten für das Bürgergeld variieren je nach Quelle und Berechnungsmethode. Schätzungen beziffern ca. 50-65 Milliarden p. a. - Verwaltungskosten der Jobcenter:
Die Jobcenter verursachen neben den direkten Auszahlungen an Leistungsberechtigte auch erhebliche Verwaltungskosten. Diese umfassen Personalaufwendungen, Sachkosten, IT-Infrastruktur und weitere betriebliche Ausgaben. Die genauen Verwaltungskosten sind in den Haushaltsstatistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) detailliert aufgeführt.
Die jährlichen Kosten für die Jobcenter in Deutschland, einschließlich der ausgezahlten Sozialleistungen und der Verwaltungsausgaben, belaufen auf einen erheblichen zweistelligen Milliardenbetrag. Diese Ausgaben werden durch Steuermittel finanziert und stellen einen bedeutenden Posten im Bundeshaushalt dar. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) beschäftigt insgesamt rund 113.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Stand 2023). Diese Zahl umfasst sowohl die Beschäftigten in den Agenturen für Arbeit als auch diejenigen in den gemeinsamen Einrichtungen, den sogenannten Jobcentern.

Die beste und intelligenteste Methode, Menschen zu helfen, ihr Leben selbst in den Griff zu bekommen, ist eine Hilfe, die Selbstentfaltung und Selbstständigkeit entwickelt und Selbstverantwortung fordert statt Abhängigkeit fördert.
Selbstbefähigung – Fördern & Selbstverantwortung – Fordern
Dazu gibt es einige moderne und innovative Human-Resource-Management Ansätze aus der Psychologie und der Sozialpsychologie, der Pädagogik, der Sozialarbeit und Sozialpädagogik, der Berufspädagik und der Ökonomie (Betriebswirtschaft und Volkswirtschaft):
1. Hilfe zur Selbsthilfe statt Abhängigkeit und Langzeitverwaltung von Arbeitslosigkeit.
2. Empowerment – Menschen befähigen, nicht betreuen. Statt Defizite zu betonen, Stärken fördern.
3. Klare Anreize setzen. Wenn Hilfe keine Anreize zur Eigeninitiative setzt, besteht die Gefahr, dass sich Menschen an Hilfsleistungen gewöhnen.
4. (Selbst)Verantwortung übertragen. Menschen sollten die Konsequenzen ihrer Entscheidungen spüren – sowohl die positiven als auch die negativen.
5. Unterstützung für langfristige Veränderungen (Change).
6. Bildung und Fähigkeiten stärken.
Die beste Hilfe ist die, die Menschen unabhängig macht. Sie sollte befähigen statt bevormunden, fordern/fördern statt versorgen. Hervorzuheben ist hier die Bedeutung des Stärkenansatzes (Human Resource Empowerment), der darauf abzielt, individuelle Fähigkeiten zu erkennen und zu fördern, anstatt Defizite zu beheben.
Er plädiert für eine Abkehr von veralteten traditionellen sozialpädagogischen Methoden hin zu einem Ansatz, der die persönlichen Stärken in den Vordergrund stellt.
Das Konzept von Empowerment basiert auf dem Menschbild und den Prinzipien der Selbstbestimmung, Zugehörigkeit und Selbstentfaltung. Es betont, dass jeder Mensch etwas kann, gebraucht wird und einen wichtigen Beitrag leistet. Dieses Verständnis fördert die Souveränität und die Selbstbefähigung, das eigene Leben eigenständig zu gestalten. Es fordert Selbstverantwortung für das eigene Leben zu übernehmen und als Teil der Solidargemeinschaft, auch Mitverantwortung für die Gesellschaft zu tragen. Jeder Mensch, der die Gesellschaft zeitweise belastet, sollte auch bereit sein diese wieder zu entlasten (Reziprozität). Das darf die Gemeinschaft von den einzelnen Menschen verlangen.
Der Empowerment-Ansatz setzt auf Selbstverantwortung, Stärkenorientierung und nachhaltige Integration, anstatt Menschen in passive Hilfssysteme zu bringen. Soziales Helfen richtig verstanden und professionell umgesetzt, würde dazu beitragen, die Kosten für die Arbeitsmarktintegration in Milliardenhöhe zu senken.
Politische Interessen & institutionelle Widerstände
- Viele Sozialorganisationen und Behörden haben ein Eigeninteresse daran, dass es Hilfsbedürftige gibt.
- Ein radikaler Wechsel hin zu Empowerment könnte auf Widerstand stoßen, weil er bestehende Strukturen in Frage stellt.
- Empowerment kann oberflächliche Hilfe reduzieren und langfristig enorme Kosten sparen.
- Der Staat müsste aber bereit sein, seine Strukturen zu ändern und in echte Selbstbefähigung zu investieren.
Zentrale Frage:
Hat die Politik den Mut, Sozialhilfe (Bürgergeld) von Abhängigkeit auf Selbstverantwortung / Selbstentfaltung / Selbstbestimmung umzustellen?
Der Lohn:
Kosteneinsparungen durch das Konzept des Empowerments sind in Milliardenhöhe (10-20 Milliarden p. a.) machbar:
✅ Reduzierung von Langzeitarbeitslosigkeit
✅ Weniger Abhängigkeit von Sozialleistungen
✅ Weniger Bürokratie & Verwaltungskosten
✅ Weniger ineffiziente Maßnahmen & Bürokratie
✅ Höhere Steuereinnahmen durch echte Integration
✅ Bessere Nutzung von Potenzialen (z. B. Arbeitskräfte, Fachkräfte, Migranten …)
✅ Mehr Selbstverantwortung = weniger staatliche Eingriffe
✅ Glückliche und souverän lebende Menschen, die sich entwickeln und teilhaben
✅ Mehr Geld für andere Zwecke (v. a. im Bereich Bildung / Forschung / Wohnen von jungen Menschen …)
Mittelfristig (in ca. 4-5 Jahren) sollte ein Haushaltsbudget von ca. 20 Milliarden p. a. ausreichen, um die Kosten der Langzeitarbeitslosigkeit zu tragen. Das setzt allerdings einen konsequenten Paradigmenwechsel hin zu einer zeitgemäßen und modernen ressourcenorientierten arbeitsmarktpolitischen Praxis voraus.
Wahrscheinlich wird der politsche Mut fehlen, neue Wege zu gehen. (Weil die Selbsterhaltungskräfte des arbeitsmarktpolitischen Systems dagegen arbeiten werden – vergl. o. g. These von Luhmann).
Empowerment ist kein „Sparprogramm an Armen“, sondern eine Investition in die „Stärken und Leistungsfähigkeit sowie die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen“, die sich langfristig rechnet. Empowerment kann oberflächliche Hilfe (wenn auch gut gemeint) reduzieren und dabei enorme Kosten sparen. Der Staat muss aber bereit sein, seine Strukturen nachhaltig zu ändern und in echte Selbstbefähigung und Selbstverantwortung zu investieren.
Im Ergebnis einer konsequenten Veränderung wäre eine Integrationsquote von 25-40 % realistisch, statt zur Zeit 6 % p. a.
Das modifizierte Credo heißt:
Selbstbefähigung – Fördern & Selbstverantwortung – Fordern.
Dieser Ansatz setzt auf Vertrauen in die Menschenstärken und auf den Wunsch von Menschen ein Leben in Souveränität und Selbstbestimmung, möglichst unabhängig von Hilfeleistungen der Gemeinschaft bzw. des Staates zu führen.
„Hilf mir, es selbst zu tun.“ von Maria Montessori. Wahre Hilfe bedeutet, Menschen zu befähigen, selbstständig zu handeln, statt ihnen alles abzunehmen. Nur so wird es etwas mit richtig verstandener (effektiver) und gut ausgeführter (effizienter) „Sozialer Hilfe“, denn „wahre Hilfe und Nächstenliebe lehrt Selbstständigkeit und nicht Abhängigkeit.“