Erfolgsprinzip „Stärken“ – am Beispiel des Pinguins
„Der Pinguin – was für ein armes Würstchen?!“.
Siehe Kurzfilm > Die Stärken des Pinguins
Im Jahr 2024 bezogen in Deutschland laut öffentlicher Statistik durchschnittlich rund 3,99 Millionen erwerbsfähige Personen Bürgergeld. Wenn man ca. 820.000 erwerbstätige Aufstocker/innen nicht berücksichtigt, sind weit über 3 Millionen Menschen nicht erwerbstätig und somit hilfsbedürftig. Müssen es wirklich so viele sein und woran liegt das? Andererseits herrscht massiver Arbeitskräftemangel. Man meint, dass Stellen- und Bewerberpotentiale nicht übereinstimmen. „Es matcht nicht“ – Andrea Nahles – trotz eines Fiskaleinsatzes von jährlich mehr als 60 Milliarden durch die Solidargemeinschaft!
Es wird Zeit, dass über das grundsätzliche „Menschenbild“ und das grundlegende Verständnis von „sozialer Hilfe“ sowie den Folgen von „Prozessen sozialer Hilfe“ in Kontexten von Arbeitslosigkeit neu und vor allem komplex und multiperspektivisch nachgedacht wird.
Man hilft den Menschen nicht, wenn man für sie tut, was sie selbst tun können.
Im Rahmen des gesellschaftlichen Funktionssystems der „sozialen Hilfe“ gehören zum Geschäfts- bzw. Interventionsfeld vieler sozialer Organisationen (hier z. B. Arbeitsagenturen, Jobcenter, Arbeitsmarktdienstleister …) menschliche Schwächen / Hemmnisse.
Dabei wäre es viel sinnvoller und volkswirtschaflich effizienter, sich auf die Menschenstärken zu konzentrieren und alle Prozesse des sozialen Helfens (also: helfen / nicht helfen) darauf auszurichten, statt Schwächen zu profilen und an ihnen langwierig und aufwendig mit oft sinnlosen und teuren „Maßnahmen“ herumzudoktern! Denn jeder Mensch kann etwas, was gebraucht wird. Jeder Mensch kann gesellschaftlich teilhaben und daraus ein selbstbestimmtes Leben gestalten.
Eine Inklusionsstrategie „der Sozialen Hilfe“ bzw. der „sozialpädagogischen Praxis“, die sich (fast) nur einseitig an Defiziten / Hemmnissen orientiert, ist auf dem Auge der Stärken bzw. der Selbstbemächtigung von Menschen völlig blind. Sie bietet unter Umständen Hilfeaktivitäten dort an, wo eigentlich keine Intervention notwendig ist, da sie die Menschenstärken sowie die Möglichkeiten der Selbsthilfe ausblendet oder überdeckt. In einer Vielzahl sogenannter Fälle (Fallmanagement) wäre das Unterlassen von (vielleicht gut gemeinter) Hilfe, also die bewusste Nichthilfe, die effektivere und zielführendere Hilfehandhabung im Hinblick auf den Integrationserfolg (in Arbeit sein / statt nicht in Arbeit sein).
Die Fokussierung auf Fremdeinschätzung, Schwächen, Hilfe, Fremdbestimmung und standardisierte Maßnahmen absorbiert leider die Energien der individuellen Selbstbemächtigung von Menschen, verhindert Teilhabe, behindert die Entwicklung von Identität und Selbstbestimmung und schafft so millionenfache Hilfebedürftigkeit. Wer dort Hilfe verordnet bzw. aufnötigt, wo Selbstentfaltung angebracht wäre, zerstört Wachstumspotentiale und Entwicklungsmöglichkeiten. Wer für Menschen tut, was sie selbst tun können hilft ihnen nicht. Im Gegenteil – auch wenn es noch so gut gemeint ist.
Es entsteht der Verdacht,
- dass das soziales Helfen eher der Finanzierung der helfenden Organisationen als den Adressaten dient (Motivverdacht);
- dass soziale Hilfe, in dem Moment, in dem sie gewährt wird, uneffizient wird, weil die Potentiale der Selbsthilfe / Selbstbehebung eher verschüttet als gefördert werden (Effizienzverdacht);
- dass das soziales Helfen über die Markierung der Hilfsbedürftigkeit die Wahrscheinlichkeit signifikant erhöht, dass diejenigen dauerhaft hilfsbedürftig bleiben, denen geholfen wird (Stigmatisierungsverdacht / self-fulfilling prophecy).
Mit anderen Worten:
o Soziale Hilfe (wenn sie denn erfoderlich ist) sollte sich immer überflüssig machen!
o Man hilft den Menschen nicht, wenn man für sie tut, was sie selber tun können!
o Die Etikettierung der Hilfsbedürftigkeit produziert Hilfsbedürftige!
o Modernes Human Resource Management bzw. eine stärkenorientierte sozialpädagogische Dienstleistungsinteraktion (Empowerment) orientiert sich primär an den Ressourcen / Stärken bzw. der Selbstbemächtigung und nicht vordergründig an den Defiziten / Hemmnissen von Menschen. Alles andere ist wenig effektiv, dazu noch kostenintensiv und nicht zielführend.
HR-Management bzw. Soziale Diensleistungsinteraktion in diesem Sinne folgt nicht etwa dem Handlungsprinzip einer Reparaturwerkstatt (suchen und reparieren von /ggf. multiplen/ Schwachstellen), sondern ist systemisches Kommunikationsmanagement von menschlichen Stärken im Hinblick auf den Anschluss an betriebliche bzw. organisationelle Stärken (Strukturen).
Anschluss. Es geht darum, Operationen (Kommunikation) anzustoßen, um Stärken auszuloten (denn jeder kann etwas / hat Stärken), Ziele (im Stärkenkontext) zu formulieren und passende Verbindungen bzw. Verwendungsmöglichkeiten der Stärken in systemischen Kontexten der Wirtschaft zu finden (denn jede Stärke wird gebraucht) und zu entwickeln.
„Mache es wie der Pinguin – finde dein Element und tue einfach, was du kannst“. (Volition) Alles andere wird dann für sich selber sorgen.
So wird Langzeitarbeitslosigkeit zum gesellschaftlichen Randphänomen.
Die „Hilfe“ und die „Nichthilfe“ sind die beiden Seiten der gleichen Medaille des Systems „Sozialhilfe„. Die „soziale Hilfe“ als Funktionssystem der Gesellschaft sollte in Kontexten von Arbeitslosigkeit nur da helfen, wo es tatsächlich notwendig ist und eben da bewusst nicht helfen, wo es nicht notwendig ist.
Dazu gehört ferner, dass Organisationen und Akteure der „sozialen Hilfe“ (hier insbesondere der Arbeitsmarktintegration) dazu in der Lage sind bzw. sich so organisieren, dass sie sich selbst überflüssig machen können.
Denn der, der Hilfe anbietet, schafft damit möglicherweise Situationen, in denen das Eintreten in die Hilfsbedürftigkeit oder die Aufrechterhaltung der Hilfsbedürftigkeit attraktiver bzw. aussichtsreicher ist als Eigenanstrengung, Selbstbemächtigung und Selbstbehebung.
„Man hilft den Menschen nicht, wenn man für sie tut, was sie selber tun können“. Man schadet sogar! So werden die Stärkenpotentiale von Menschen in der Gesellschaft überdeckt oder gar gänzlich vernichtet. Eine solche Hilfepraxis ist ungerecht gegenüber der Solidargemeinschaft und belastet die Staatskasse extrem.
„Jede Arbeit bringt Gewinn, und wenn es nur eine Stunde am Tag ist“.
Wer Hilfe anbietet, sollte auch die Nichthilfe in Betracht ziehen. Wer in erster Linie Defizite und Hemmnisse lokalisieren will, läuft Gefahr, Menschenstärken und Selbstheilungskräfte sowie gesellschaftliche Teilhabechancen auszublenden und damit für lange Zeit oder für immer Idividualität und personale Identität, soziale Zugehörigkeit sowie Arbeitskraftpotenzial zu vernichten. Das gilt es, zu vermeiden (auch im Sinne der „Sozialen Gerechtigkeit“).
Die jährlichen Kosten der Arbeitslosigkeit belaufen sich (laut iab) auf jährlich insgesamt 60,6 Milliarden Euro. Nach meiner Einschätzung, könnte man diesen Aufwand mit o. g. Paradigmenwechsel drastisch reduzieren. Langfristig sollte man mit einem Viertel auskommen können. Eigentlich dann immer noch zu viel.