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Kann und will ich – dank Bürgergeld – ohne (Erwerbs-) Arbeit leben?

Henryk Cichowski – Acryl auf Leinwand

Solidargemeinschaft

Die Grundsicherung („Bürgergeld“) ist laut Sozialgesetzbuch II „eigentlich“ nur für den Notfall vorgesehen.

Aber die Grundsicherung wird für sehr viele Menschen trotz unendlich vieler freier Arbeitsstellen zur  langjährigen Dauerlösung. Diese Haltung belastet die Solidargemeinschaft bzw. den Sozialhaushalt des Staates.

D. h. im Klartext, die einen arbeiten dauerhaft für die anderen mit.

Die Hälfte aller erwerbsfähigen Leistungsbezugsempfänger/innen sind „länger als 4 Jahre“ im Leistungsbezug.

Einer erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person ist jede Arbeit zumutbar, es sei denn, dass sie zu der bestimmten Arbeit körperlich, geistig oder seelisch nicht in der Lage ist.

Erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen „sollten“ eigentlich alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen.

Woran liegt es, dass viele nicht danach streben?

Um sich einer möglichen Antwort zu nähern, sollten einige gedankliche Vorleistungen kurz skizziert werden:

  • Der Mensch als Individuum und Gesellschaftswesen
  • Das Verhältnis von Allgemeinwohl und Eigenwohl
  • Verhaltensänderung – Opfer sein oder doch lieber Gestalter/in
  • Lebenshaltung und Handlungs- bzw. Kommunikationsmuster
  • Grundsicherungsleistung und deren Sinn
  • Bedürfnisse von Menschen und deren Erfüllung
  • Entscheidungkriterien für / gegen Erwerbsarbeit vor dem Hintergrund der Gewährung von Grundsicherungsleistungen


I. Der Mensch ist Individuum und Gesellschaftswesen zugleich

Der Mensch ist Individuum (ich habe die Freiheit zum Tun, Nichttun, Unterlassen) und Gesellschaftswesen (wie wirkt sich mein Tun, Nichttun bzw. Unterlassen auf andere aus) zugleich.

Er besitzt individuelle Anlagen, Kompetenzen und Persönlichkeitsmerkmale, die er in das gesellschaftliche Leben einbringen kann.

Immer steht ein individuelles Ich, mit einer eigenen Ich-Identität (individuelle Identität) und Ich-Freiheiten in Wechselwirkung und in Auseinandersetzung zu einem gesellschaftlichen Wir, mit einer eigenen Wir-Identität (kollektive Identität) und Wir-Verpflichtungen.

II. Der Zusammenhang von Allgemeinwohl und Eigenwohl

Das Verfolgen des Eigenwohls ist immer im Zusammenhang und der Wechselwirkung mit dem Allgemeinwohl zu sehen. Das Gemeinwohl bezeichnet das Wohl , welches aus sozialen Gründen bzw. Hilfegründen möglichst vielen Mitgliedern eines Gemeinwesens zugutekommen soll. Insofern liegt das Wohlergehen der Gemeinschaft im besonderen Interesse jedes Einzelnen und das Wohlergehen des Einzelnen im Interesse der Gemeinschaft.

Kurzum, wenn es allen gut geht, geht es auch einem selbst gut. Aber, es kann nur verteilt werden, wenn auch etwas erarbeitet wird.

Jeder Mensch sollte je nach individuellem Talent und individueller Kraft etwas Wichtiges zum Gemein- bzw.  zu seinem eigenen Wohl beitragen.

Wenn es allen gut geht, geht es auch einem selbst gut.

Geben ist demnach nicht nur ein Zeichen der Selbstlosigkeit, sondern immer auch eine Haltung vorausschauender Eigenvorsorge.


III. Selbst ist der Mensch (Opfer oder Gestalter/in)

„Selbst ist der Mensch“ ist ein bekanntes Zitat des deutschen Dichters und Schriftstellers Johann Wolfgang von Goethe. Es drückt aus, dass der Mensch selbst für sein Leben und seine Entwicklung verantwortlich ist und nicht von anderen abhängig sein sollte.

Siehe auch Kant: “Sapere aude“. (Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.)

Das Zitat von Goethe betont die Bedeutung von Selbstverantwortung und Selbstbestimmung im Leben. Es geht davon aus, dass jeder Mensch die Fähigkeit hat, seine eigenen Entscheidungen zu treffen und sein Leben in die Hand zu nehmen. Dies bedeutet jedoch auch, dass jeder Mensch die Konsequenzen seiner Entscheidungen tragen muss und sich den Herausforderungen des Lebens selbst stellen muss.

„Selbst ist der Mensch“ wird oft im Zusammenhang mit der Bedeutung von Eigeninitiative und Selbständigkeit verwendet. Es fordert Menschen auf, nicht passiv auf das Leben zu warten, sondern aktiv zu werden und ihr Leben aktiv zu gestalten.

Dabei geht es um materielle Dinge wie Beruf und Karriere, aber auch um die Entfaltung der Persönlichkeit, die Verwirklichung von Träumen und Zielen und die Entdeckung der eigenen Fähigkeiten und Stärken zum Eigen- und Allgemeinwohl.

Insgesamt betont die Losung: „Selbst ist der Mensch“ die Bedeutung von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung im Leben.

Sie fordert dazu auf, sich aktiv und eigenständig in die Gestaltung des eigenen Lebens und die eigene Persönlichkeit einzubringen und die eigenen Ressourcen und Potenziale zu nutzen und hierfür die richtige Haltung bzw. Einstellung zu finden.

IV. Haltung / Einstellung

Jeder Mensch entwickelt eine eigene Haltung bzw. Einstellung gegenüber den Herausforderungen und Dingen des Lebens. Auf der Grundlage von Haltungen / Einstellungen kommunizieren bzw. handeln Menschen.

Einmal in der Grundsicherung angekommen, bedeutet offenbar für die meisten erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, dort langfristig oder für immer zu verharren.


V. Bürgergeld als Hilfeleistung zur Beendigung der Hilfebedürftigkeit

Die Hilfeleistung „Bürgergeld“, ist darauf ausgerichtet, Hilfebedürftigen einen erträglichen Lebensunterhalt zu sichern, sie zu fördern und sie dazu zu aufzufordern, alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit auszuschöpfen.

Insbesondere bei dem Wissen, dass jeder Mensch etwas kann (Identität), gebraucht wird (Leistung / Beitrag) und auch etwas Wichtiges beitragen will (Selbstwertgefühl).

Genau das ist die grundlegende Intention des Gesetzes (SGB II), nämlich der Reziprozität aus „Geben und Nehmen“ durch das Wahrnehmen der Eigenverantwortung zur Selbststärkung und zur Entlastung der Solidargemeinschaft nachzukommen.

Das ist die „Goldene Regel“ der Solidargemeinschaft.


VI. Verhaltensänderung (nicht Opfer, sondern Gestalter/in)

„Ich bin kein Produkt meiner Umstände (Opfer). Ich bin ein Produkt meiner Entscheidungen (Gestalter/in)“. – nach Stephen R. Covey.

Gestalter/in – oder – doch lieber Opfer

  • Der beste Coach zur Veränderung / Change von prekären Lebenslagen (wie z. B. Arbeitslosigkeit) ist man selbst.
  • Erfolgreiche Veränderung lässt sich in einem Satz beschreiben:
    – Die richtigen Dinge gut TUN – (im Sinne von Volition)
  • Um die richtigen Dinge gut zu tun, bedarf es einer entsprechenden Haltung.

 
VII. Kann und will ich – dank Bürgergeld – ohne Erwerbsarbeit leben?

Unter Berücksichtigung des oben Gesagten sind zwei Aspekte zur Beantwortung dieser Frage zu beleuchten:
a) die Haltung von Hilfebedürftigen zur Gewährung von Bürgergeld als Solidarleistung der Gesellschaft und
b) die individuelle Nutzenanalyse dieser Grundsicherungsleistung im Zusammenhang mit menschlichen Bedürfnissen (hier Anlehnung an Abraham Maslow / Bedürfnispyramide).

  • Werden meine Grundbedürfnisse durch das Bürgergeld abgedeckt?
  • Werden meine Sicherheitsbedürfnisse durch das Bürgergeld abgedeckt?
  • Verfüge ich ohne Erwerbs- Arbeit über hinreichend viele soziale Kontakte?
  • Kann ich meine individuellen Bedürfnisse auch ohne Erwerbs-Arbeit befriedigen?
  • Kann ich mich auch ohne Erwerbs-Arbeit selbst verwirklichen?
  • Haltung / Ist mir mein Eigenwohl wichtiger als das Allgemeinwohl (Gesellschaft)?

Henryk Cichowski – Acryl auf Leinwand

Henryk Cichowski – Acryl auf Leinwand